31. Okt. 2024
Schon wieder passiert?!: Ziele, die immer kleiner werden (Teil 1)
Was sind systemische Muster?
Systemische Muster (oder auch Systems Archetypes) gehen auf den Organisationsentwickler und MIT-Professor Peter Senge zurück. Sie beschreiben häufig beobachtetes Verhalten, das sich auf verschiedenste Kontexte übertragen lässt.
Das Besondere daran: Die Beschreibungen machen Struktur und Dynamik dieser Teufelskreise sichtbar. Dadurch lässt sich nicht nur besser verstehen, wie ein wiederholtes Verhalten zustande kommt, sondern auch wie es sich über Zeit verhält und verändern lässt.
Drifting Goals: Das Muster, das Ziele immer kleiner werden lässt
Der Archetyp „Drifting Goals“ beschreibt eine Situation, in der Ziele aufgrund kurzfristigen Drucks schrittweise gesenkt werden. Das ursprüngliche Ziel, das möglicherweise ambitioniert und realistisch war, wird im Laufe der Zeit immer weiter verwässert. Diese Dynamik entsteht häufig, wenn Organisationen sich kurzfristigem Druck beugen oder Kompromisse eingehen, um schnelle Erfolge zu erzielen, anstatt fokussiert und hartnäckig auf die ursprünglichen Ziele hinzuarbeiten.
Ein konkretes Beispiel für Drifting Goals
Ein Unternehmen möchte seine Kundenzufriedenheit auf 90% steigern, reduziert dieses Ziel jedoch mehrfach, weil interne Schwierigkeiten und externer Druck das Erreichen erschweren. Am Ende akzeptiert die Organisation eine viel niedrigere Zufriedenheitsrate, weil sie die tieferliegenden Probleme nie angegangen hat.
Ähnliches lässt sich auch in der Software-Entwicklung beobachten, wenn die ursprüngliche Produktvision im Laufe der Zeit immer weiter verkleinert wird, obwohl dadurch der angestrebte Mehrwert möglicherweise ernsthaft riskiert wird. Die Gründe dafür können vielfältig sein und reichen von einer Ermüdung durch sich widersprechende Stakeholder-Ansprüche bis zur Schwierigkeit, verlässliche Markt- und Nutzerinformationen zu beschaffen, um die Generierung von Mehrwert abzusichern.
Wie passiert das?
Zwischen dem ursprünglichen Ziel und der aktuellen Situation besteht eine Diskrepanz. Diese kann durch zwei Maßnahmen aufgelöst werden:
- Es werden korrektive Maßnahmen durchgeführt, also ein Handeln hin zum Ziel, oder
- Das Ziel wird verkleinert.
Der kritische Unterschied dabei ist, dass das Absenken eines Ziels die Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit sofort reduziert, während es einige Zeit dauern kann, um das ursprüngliche Ziel durch konsequentes Handeln zu erreichen.
Das Tückische an dieser Situation ist die Zeit als Faktor. Denn oft tauchen Drifting Goals in sehr lang laufenden Vorhaben und schrittweise auf, sodass die Beteiligten erst rückblickend bemerken, dass sie ihr ursprüngliches Ziel im Laufe der Zeit aus dem Auge verloren haben.
Wie lässt sich das systemische Muster durchbrechen?
Der erste Schritt, sich aus einem Drifting Goals-Szenario zu befreien ist, sich bewusst zu werden, dass man sich in einem solchen Muster befindet. Selbstverständlich macht es oft Sinn, Ziele im Laufe eines Vorhabens anzupassen und nicht krampfhaft an ihnen festzuhalten. Das Entscheidende ist, dass es sich dann um bewusste Entscheidungen handelt, die die Abweichungen zu ursprünglichen Zielen miteinbeziehen.
Anstatt also hartnäckig am ursprünglichen Ziel festzuhängen, sollten sich die Beteiligten kontinuierlich und hartnäckig mit der Diskrepanz zwischen Ausgangssituation und Ziel beschäftigen und diese systematisch analysieren, um zielführende Entscheidungen treffen zu können. Manchmal kann dabei auch ein entscheidender Faktor sein, wer oder was die Zielsetzung tatsächlich beeinflusst.
In jedem Fall braucht es Mechanismen, die verhindern, dass kurzfristige Rückschläge oder Schwierigkeiten die langfristigen Ambitionen beeinflussen. Sonst droht im schlimmsten Fall ein Vorhaben, das Ressourcen verschlingt, ohne echten Mehrwert zu schaffen.
Wenn Sie kurz darüber nachdenken: Wann waren Sie zuletzt Teil eines Drifting Goals-Szenarios? Und wie haben Sie sich daraus befreit?