23. Mai 2024
Woran SCRUM und andere Frameworks scheitern: Mut und Offenheit lassen sich nicht einfordern
Diese Frameworks bleiben leider oft sehr vage, wenn es darum geht, wie genau diese Werte gefördert werden können – sie werden in der Regel einfach vorausgesetzt oder eingefordert. Allerdings funktioniert das nicht verlässlich. Diese ernüchternde Erfahrung haben sicher schon viele Teammitglieder, Teamleads, Scrum Master und Agile Coaches gemacht.
Mut und Offenheit: Es gibt keinen magischen Knopf
Mut und Offenheit lassen sich nicht einfach an- und ausschalten. Versuchen Sie es mal bei sich selbst. Beide Eigenschaften sind komplexer und nur eingeschränkt aktiv steuerbar. Wie mutig und offen Sie sein können und was Sie überhaupt genau als mutig oder offen verstehen, hängt zudem stark mit Ihren individuellen Erfahrungen und Vorstellungen zusammen. Dazu kommt die Umgebung als Faktor: Wie sicher Sie sich in der entsprechenden Umgebung empfinden, um sich nicht verstellen zu wollen oder müssen. Mut und Offenheit lassen sich also weder auf Ansage anknipsen noch auf eine Gruppe von Menschen verallgemeinert übertragen.
Wenn wir als Agile Coaches Mut und Offenheit einfach einfordern oder uns auch als Teil von Working Agreements darauf committen, spielen wir immer auf Glück. Es kann funktionieren, muss aber nicht. Und wenn wir diese Woche in einer Retrospektive eine offene und mutige Gesprächskultur wahrgenommen haben, heißt das noch lange nicht, dass es nächste Woche noch genauso sein muss. Ganz generell: Die Arbeit mit und an Werten ist ein langsamer, steter Prozess mit Vorwärts- und Rückwärtsentwicklungen, der viel Geduld erfordert.
Mut: Handeln trotz Angst
Viele Menschen sind von Natur aus vorsichtig, insbesondere wenn es um Neues oder Unbekanntes geht. Die Angst vor dem Scheitern, vor Zurückweisung oder einfach vor dem Verlassen der eigenen Komfortzone hält viele davon ab, mutige Schritte zu unternehmen oder sich offen für neue Ideen und Perspektiven zu zeigen.
Mut ist nicht die Abwesenheit von Angst. Mutig ist, zu handeln, obwohl man Angst, Sorgen oder Befürchtungen hat. Wenn wir als Coaches mit mutigen Teams arbeiten wollen, sollten wir Befürchtungen und Ängste also versuchen, wahrzunehmen und ernst zu nehmen. Sie lassen sich nicht einfach wegargumentieren oder mit einem motivierenden Sprintziel überschreiben. Werden sie nicht adressiert, treten sie früher oder später doch an die Oberfläche – oft verschleiert und nicht selten in ungünstigen und überraschenden Momenten.
Offenheit erfordert Mut
Auch Offenheit entsteht nicht über Nacht. Sie erfordert Mut und Vertrauen, und beides entwickelt sich im Laufe der Zeit und unter guten Bedingungen. Eine offene Kommunikation und ein respektvoller Umgang miteinander sind entscheidend, um eine Umgebung zu schaffen, in der Menschen bereit sind, ihre Gedanken und Gefühle zu teilen.
Eine Möglichkeit, um eine solche Umgebung zu schaffen ist das Betonen des Lernaspekts agiler Arbeit. Das kontinuierliche Verbessern (Inspect & Adapt) ist der Kern agiler Frameworks und letztlich nichts anderes als Lernen. Können und dürfen Teams beim und vom Arbeiten Lernen, kommen Mut, Offenheit und eine positive Fehlerkultur in vielen Fällen fast ganz von selbst.
Der konkrete Tipp für mehr Mut und Offenheit
- Seien Sie selbst offen und zeigen Sie, dass es okay ist, Fehler zu machen und Ängste zu haben.
- Konkretes und dauerhaftes Vorleben der Werte, die Sie sich von Ihrem Team wünschen, ist eine wirkmächtige Führungsstrategie.
- Authentizität ist dabei entscheidend: Menschen sind empfindsam und merken schnell, ob Sie eine Rolle spielen oder sich inkonsistent verhalten. Der Effekt kann sich dann eventuell sogar umkehren und ihr Team ist verschlossener als zuvor.
Agile Frameworks sind hilfreich, um einen Arbeitsalltag zu strukturieren. Selbstorganisation und eine breite Verteilung von Verantwortung sind wirksame Strategien, um mit komplexen Geschäftsumgebungen umzugehen. Und sie alle hängen von Werten wie Mut und Offenheit ab. Gerade an diesem Fundament leisten SCRUM und Co aber wenig Unterstützung und setzen sie einfach voraus.
Ich betrachte jedes feste Regelwerk neugierig und skeptisch, kombiniere und ergänze sie nach den Bedürfnissen und Situationen der Beteiligten – nicht nach meiner Vorliebe oder einer methodischen Anleitung. Dabei helfen mir übergeordnete Ansätze wie das Systemische Denken oder der Gestalt-Ansatz. Auch bei Accso beraten wir Organisationen methodenübergreifend und halten uns nicht an Schablonen fest. Coaching und Beratung verlangen Offenheit und Mut, über den eigenen Tellerrand zu schauen, um die bestmögliche Lösung für unsere Kunden zu finden.
Welche Erfahrungen haben Sie mit Mut und Offenheit in der Teamarbeit gemacht?