03. Okt. 2024
Organisationskultur und Transformation: Ein besseres Verständnis mit dem Eisberg-Modell
Es hilft dabei, Zusammenhänge zwischen beobachtbaren Vorgängen und unsichtbaren Mustern und Wertvorstellungen zu verstehen. Dieses Verständnis wiederum ermöglicht es uns, ganzheitlichere Lösungen und Veränderungen zu schaffen.
Was ist das Eisberg-Modell?
Das Eisberg-Modell basiert auf der Metapher eines Eisbergs, bei dem nur etwa 10-20% der Masse über der Wasseroberfläche sichtbar sind, während der größte Teil verborgen bleibt. Übertragen auf Organisationen bedeutet dies, dass es sichtbare Phänomene gibt, wie Ergebnisse oder Verhaltensweisen, die allerdings nur die Spitze des Eisbergs darstellen. Der weit größere und schwerer zu fassende Teil umfasst Muster, Strukturen, grundlegende Überzeugungen und Wertvorstellungen.
Da es sich um ein Ganzes handelt, sind die sichtbaren und unsichtbaren Bestandteile untrennbar miteinander verbunden. Auf Organisationen und Transformation übertragen bedeutet das: All diese Ebenen beeinflussen sich gegenseitig, sollten also in jeder Analyse und Veränderung entsprechend einbezogen werden.
Das Modell geht auf die Arbeit des Psychologen Edgar H. Schein zurück, der als Mitbegründer der Organisationspsychologie und Organisationsentwicklung gilt.
Vier Ebenen und ihre Verbindung
Das Eisberg-Modell gibt es in verschiedenen Varianten, die im Laufe der Zeit entwickelt wurden. Die von mir favorisierte Version für die Organisationsentwicklung teilt den Eisberg in vier Ebenen auf:
- Events. Die einzig sichtbare Ebene, zu der beobachtbares Verhalten gehört. Auf einzeln auftretende Verhaltensweisen lässt sich nur einzeln reagieren.
- Muster und Trends. Belegbar wiederholt auftretende Events bilden ein Muster. Ein solches Muster kann sich entwickeln. Es kann stabil bleiben, stärker werden oder abnehmen. Daraus ergibt sich der Trend des Musters. Über die Kenntnis von Mustern und Trends lässt sich zukünftiges Verhalten vorhersehen.
- Strukturen. Auf dieser Ebene finden sich die strukturellen Gegebenheiten, die Muster und Trends ermöglichen, bspw. hierarchische Strukturen und Prozesse. Dazu gehören auch informelle Arbeitsabläufe und soziale Beziehungen. Strukturen lassen sich verändern, wodurch auch Muster beeinflusst werden können.
- Mentale Modelle/DNA. Hier liegen die Grundannahmen, auf deren Basis die Strukturen geschaffen wurden, die wiederum musterhaftes Verhalten erzeugen. Daher kann diese Ebene auch mit „DNA“ beschrieben werden: Sie enthält die Basisinformation, mit der kontinuierlich Strukturen und Verhaltensweisen geschaffen und bewahrt werden.
Nach diesem Modell ist die unterste Ebene für den Erfolg jeder Transformation entscheidend. Sie produziert und reproduziert die Ergebnisse der darüberliegenden Ebenen nach ihrem Bauplan. Sie spielt auch die entscheidende Rolle bei Widerständen gegen Veränderung.
Strukturveränderungen reichen oft nicht
Gerade wenn sich Organisationen schnelle und vermeintlich leicht vorhersehbare Ergebnisse erhoffen, konzentriert sich die Arbeit oft auf die Strukturebene: Prozesse werden reflektiert und angepasst, möglicherweise werden Teams neu zusammengesetzt oder abteilungsübergreifende Arbeitsgruppen gebildet. Nach einiger Zeit stellt sich jedoch nicht selten der Eindruck ein, dass sich nur wenig tatsächlich geändert hat. Das kann daran liegen, dass die neuen Strukturen den oft unbewussten mentalen Modellen widersprechen. Diese beeinflussen maßgeblich, was sich für die Beteiligten als richtige oder als falsche Lösung anfühlt.
Ein Beispiel: Unternehmen mit stark ausgeprägter Hierarchie und entsprechend ausgebildeter kultureller Prägung der Mitarbeitenden wird sich mit einer Agilen Transformation sehr wahrscheinlich schwertun, trotz reduzierter Hierarchien und den eingeführten agilen Abläufen. Denn zumindest ein einflussreicher Anteil der Mitarbeitenden wird aufgrund der Prägung (unbewusst) versuchen, an den alten Strukturen festzuhalten oder sie wiederherzustellen. „Jetzt muss hier mal jemand von oben entscheiden.“ oder „Wer ist denn hier zuständig?“ können Ausdrücke davon sein. Es sind bekannte und für die Beteiligten bewährte Lösungsmuster. Es ist Teil der DNA der Organisation, die so lange nach dem alten Bauplan produzieren und reproduzieren wird, bis sich die Information in dieser Ebene mitentwickelt hat. Am besten geschieht das bewusst. Darauf macht das Eisberg-Modell aufmerksam.
Dabei ist es nicht entscheidend, ob die Organisation hierarchisch, agil oder anderweitig geprägt ist. Es geht darum, die Zusammenhänge der einzelnen Ebenen zu erkennen und entsprechend einzubeziehen, wenn eine Veränderung angestrebt wird:
- Events bilden Muster und Muster beeinflussen Einzelverhalten.
- Muster werden von Strukturen beeinflusst und nehmen Einfluss auf die Wirksamkeit von Strukturen.
- Strukturen sind Ausdruck mentaler Modelle.
- Mentale Modelle bilden den grundlegenden Bauplan, der alle Strukturen und Verhaltensweisen der Organisation beeinflusst.
Auch wenn es nicht um die Transformation eines Unternehmens geht: Eine gesunde, harmonische Unternehmenskultur ist auch daran erkennbar, dass die vier Ebenen des Eisberg-Modells im Einklang sind und sich nicht widersprechen oder ausbremsen. Dann entsprechen die Strukturen einer Organisation ihren grundlegenden Wertvorstellungen. Und die Mitarbeitenden verhalten sich gemäß diesen Strukturen, weil sie die Wertvorstellungen teilen.
Der konkrete Tipp für die Arbeit mit dem Eisberg-Modell
Für mich hat sich eine sehr klare Vorgehensweise für die Arbeit mit dem Eisberg-Modell bewährt: Die Analyse verläuft von oben nach unten, die Problemlösung hingegen von unten nach oben. Dabei gehe ich folgendermaßen vor:
- Zu Beginn einer Organisationsberatung besteht, aus Beratungssicht, alles aus Events: Gespräche mit Beteiligten, oft anekdotische Beschreibungen von Herausforderungen und Erwartungen sowie Dokumente. Das alles sind zunächst für sich stehende, einzelne Informationen, die ich auf Muster untersuche.
- Anschließend versuche ich diese Muster in Bezug auf ihren Einfluss und ihre Dynamik zu verstehen: Was ist über die Zeit geschehen? Sind Trends erkennbar? Welche Prognosen ergeben sich aus diesen Trends?
- Jetzt geht es um den Zusammenhang dieser Trends mit ihren Ursprüngen in organisationalen Strukturen: Wodurch werden die Muster ermöglicht und verstärkt bzw. abgeschwächt? Liegt hier der Ursprung für unerwünschte Entwicklungen in der Organisation?
- Zuletzt versuche ich mit den Beteiligten gemeinsam einen Eindruck der mentalen Modelle in der Organisation zu gewinnen und davon, wie gut die darüber liegenden Ebenen mit diesen Modellen harmonieren. Dabei ist vor allem die Arbeit mit Sprache und Sprachbildern hilfreich.
So entsteht ein Gesamtbild, mit dem die Ursprungsebene des zu lösenden Problems ausgemacht werden kann. Von dieser Ebene ausgehend, wird dann die Lösung angestoßen.
Doch Vorsicht: Je tiefer man mit dem Eisberg-Modell vordringt, desto schwieriger werden eindeutige Aussagen. Insbesondere informellen Strukturen und mentalen Modellen kann man sich über Hypothesen lediglich annähern. Deshalb sollte diese Arbeit gemeinsam mit den Beteiligten gemacht und die Annahmen kontinuierlich abgeglichen werden.
Das Eisberg-Modell bietet für die Organisationsentwicklung und Transformation von Unternehmen dabei vor allem eine wertvolle Struktur. Es kann helfen, Zusammenhänge zu erkennen die andernfalls unsichtbar geblieben wären. Dadurch lassen sich unerwünschte Nebeneffekte bei Veränderungsvorhaben rechtzeitig erkennen und vermeiden.
Wenn Sie sich für diese und ähnliche Themen interessieren, schauen Sie gerne in unseren Blog oder kontaktieren mich direkt. Ich freue mich immer über Ihr Feedback und neue Impulse!