04. Sept. 2025
4 Tipps für flexible Moderation in jeder Lage

Das für mich schönste Kompliment für eine Moderation habe ich vor einiger Zeit von einem Vertreter einer Ärztekammer bekommen. Er hat sich durchweg klar durch den Workshop geführt gefühlt, obwohl er mich als Person kaum eingreifend erlebt hat. „Daran erkennt man wirklich gute Ärzte: an der Kunst der ganz feinen Schnitte.“
Damit hat er meine persönliche Idealvorstellung eines Moderators getroffen. Die Gruppe bekommt genau das, was sie braucht, um das jeweilige Ziel zu erreichen, und ich führe diesen Prozess möglichst minimalinvasiv – um im Bild der Ärzteschaft zu bleiben.
Doch woher weiß man als moderierende Person, wie viel sichtbaren Eingriff es braucht oder wann man zu stark oder zu schwach interveniert? Ich persönlich orientiere mich dabei an einem Modell von Edwin Nevis, das über seine vier Modi der Intervention jeden mir bekannten Moderationsfall abdecken kann.
Moderationsmodus 1: Vorleben
Im ersten Modus mache ich mich selbst zum Role Model: Ich lebe ein Verhalten vor, von dem ich möchte, dass es die Teilnehmenden übernehmen. Wenn ich in einem Video-Call mit mehreren Beteiligten bspw. einführen möchte, dass sie die Hand heben, bevor sie etwas sagen, kann ich als Moderator eben damit anfangen. Und recht oft übernehmen die Teilnehmenden das, ohne dass darüber gesprochen werden muss.
Das Steuern über (reines) Vorleben ist der unsichtbarste Moderationseinfluss und wird von vielen Teilnehmenden nur kurz wahrgenommen, wenn überhaupt. Oft erinnern sie sich im Nachgang höchstens, dass ein solches Verhalten von der Gruppe gelebt wurde, aber nicht mehr, wer damit begonnen hat.
Moderationsmodus 2: Inspirieren
Im zweiten Modus werden die Beteiligten zu einem gewünschten Verhalten durch Beispiele, Impulse und vor allem Fragen angeregt. „Was braucht ihr, damit es klappt?“, wäre ein Beispiel oder „Habt ihr es schon mal so probiert?“.
Hier ist der steuernde Einfluss der Moderation spürbarer, aber er bleibt subtil. Die Moderation eröffnet dadurch nur Möglichkeiten, aus Sicht der Teilnehmenden, aber sie bleiben in voller Entscheidungsgewalt.
Der zentrale Gedanke hinter diesen ersten beiden Modi ist, dass Moderation den Teilnehmenden zu eigenen Erkenntnissen und Entscheidungen verhelfen soll und dabei die Selbstwirksamkeit der Beteiligten stärkt. Nachteil dieses Ansatzes kann sein, dass er nicht gut zeitkritisch arbeitet. Wie lange es jeweils dauert, bis sich Selbsterkenntnisse geformt und Teilnehmende auf eine Sache geeinigt haben, ist kaum vorhersehbar. Deshalb braucht es auch andere, spürbarere Formen der Intervention in einer effektiven Moderation.
Moderationsmodus 3: Konfrontieren
Im dritten Modus ist es die Aufgabe der moderierenden Person, den Teilnehmenden ihr nützliches oder auch schädliches Verhalten zu spiegeln, um auf ein gewünschtes Verhalten hinzuwirken.
Die Moderation arbeitet dann konfrontativ, überlässt die Entscheidungsgewalt aber den Teilnehmenden, zum Beispiel: „Ist euch aufgefallen, dass wir dieses Thema schon zum dritten Mal diskutieren, obwohl wir es an andere Stelle klären wollten?“ oder „Mir fällt ganz deutlich auf, dass ihr euch nicht ausreden lasst. Welche Chance habt ihr, eure Sichtweisen zu verstehen und in der Diskussion voranzukommen, wenn ihr so vorgeht?“
Dieser Modus ist für die Teilnehmenden deutlich spürbar und führt nicht selten zu Irritationen oder auch Widerstand. Das ist auch gewünscht: Ziel der Konfrontation ist nicht, dass sich die moderierende Person mit ihrer Sicht durchsetzt, sondern ein bestehendes Muster unterbricht. Die dann entstandene Irritation kann den Teilnehmenden dabei helfen, sich dieses Musters bewusst zu werden und ihr Verhalten anders zu gestalten.
Wird ein positives Verhalten gespiegelt, äußert sich die Irritation eher in Form positiver Überraschung, Stolz oder Ähnlichem. Hier ist das Ziel nicht, ein bestehendes Muster zu ändern, sondern ein Muster zu bestärken.
Moderationsmodus 4: Durchgreifen
Dieser vierte Modus ist der einzige, in dem nicht die Teilnehmenden Entscheidungsgewalt besitzen, sondern sich die moderierende Person diese nimmt. Und je nach Situation, wird das von Teilnehmenden als mehr oder weniger übergriffig empfunden.
Beispielsweise ist das Setzen und Durchhalten einer Timebox eine Entscheidung der Moderation, die aber meist unkritisch gesehen wird. „Wir machen jetzt eine Pause“, kann zu leichtem Gemurmel führen, löst aber selten Widerstände aus. Durchgreifen kann aber auch bedeuten, den Termin vorzeitig zu beenden oder Teilnehmende aus dem Raum zu bitten. Hier ist das Potenzial für Widerstände deutlich höher.
Wenn Moderierende den Teilnehmenden Entscheidungsgewalt entziehen, brauchen sie dafür einen guten Grund und der liegt nicht in der persönlichen Befindlichkeit einer moderierenden Person, sondern im Ziel des Meetings oder Workshops. Diskussionen zu beenden, selbst einen Workshop abzubrechen, kann für den Moment tatsächlich die beste Lösung sein.
Sich flüssig durch das Spektrum bewegen
Die vier Modi sind weniger als völlig getrennte Stile zu begreifen, sondern eher als Spektrum, auf dem sich Moderierende flexibel bewegen können sollten. Es braucht alle diese Modi – oft innerhalb nur eines zu moderierenden Events – um auf die Situation und die Bedürfnisse der Teilnehmenden eingehen zu können.
Erfahrene Moderatorinnen und Moderatoren beherrschen alle Modi – können also zum Beispiel spontan und flüssig vom Inspirieren zum Durchgreifen wechseln und das unabhängig von ihrer persönlichen Neigung. Das ist einfacher gesagt als getan: Die meisten Menschen tendieren entweder zu eher subtileren oder zu konfrontativeren Ansätzen. Daher bedeutet für viele die Arbeit an ihrer Moderationskompetenz auch eine Arbeit an der eigenen Persönlichkeit.
Unabhängig von den Modi und wie stark sie bei einer bestimmten Person ausgeprägt sein mögen, braucht es die Fähigkeit, sich selbst, mit allen Vorlieben, Vorurteilen und Befindlichkeiten, sehr stark zurücknehmen zu können, um den zu moderierenden Prozess nicht zu beeinträchtigen.
Die feinen Schnitte
Zurück zum Anfang und zur Frage, wie man eine minimalinvasive Moderation erreichen kann. Jetzt, mit dem Modell im Gepäck, ist es recht einfach zu erklären: Ich versuche, möglichst weit mit den ersten beiden Modi (Vorleben und Inspirieren) zu kommen und nur dann zu konfrontieren oder durchzugreifen, wenn es wirklich notwendig wird.
Dieser Moderationsstil entspricht, wie gesagt, meinem persönlichen Idealbild und auch am ehesten meiner Persönlichkeit. Es ist für mich allerdings auch kein Problem zu spiegeln oder den Teilnehmenden Entscheidungen abzunehmen.
Andere Menschen haben eine andere Präferenz und möchten vielleicht in der Moderation deutlich sichtbarer sein und/oder mehr Kontrolle spüren über das, was geschieht. Auch hier funktioniert das Modell: Sie bewegen sich dann tendenziell eher in den letzten beiden Modi und nutzen die ersten beiden dann, wenn der Widerstand der Teilnehmenden zu groß wird.
Der individuelle Moderationsstil ergibt sich aus dem Mix der vier Modi – beherrschen sollte man sie alle, wenn man die Verantwortung für eine Gruppe übernimmt.
In welchem Modus sehen Sie sich am ehesten?