25. Sept. 2025

Die RUGS-Maschine: Warum die älteste Organisationsmetapher ein Update braucht

"Unser Team läuft wie geschmiert." oder „Hier greift jedes Rädchen ineinander.“ – Sätze wie diese habe ich schon sehr oft in Gesprächen mit Führungskräften und anderen Mitarbeitenden gehört. Und jedes Mal dachte ich: Wirklich? Wollen wir das? 
2024 Marc Riedinger

Autor:in

Marc Riedinger

Maschine Metapher

Denn seien wir ehrlich: Maschinen sind großartig für repetitive Aufgaben, aber sie können nicht empfinden, keine Beziehungen aufbauen und besitzen auch keine Vorstellungskraft, um bspw.  spontan Lösungsideen zu entwickeln. Trotzdem beschreiben wir die wertvollsten Bestandteile unserer Organisationen – die Menschen – oft und teils unbewusst mit genau dieser Metapher. 

Gerade in der aktuellen KI-Debatte ist das interessant: Während wir KI einsetzen, um tatsächlich maschinelle Aufgaben zu übernehmen, halten wir gleichzeitig an einem mechanischen Organisationsbild fest, das, wörtlich genommen, Menschen zu Zahnrädern degradiert. Leider ist diese Metapher so tief in unserer Arbeitskultur verwurzelt, dass wir uns ihr wenig bewusst sind und sie daher kaum hinterfragen. 

Zeit, das zu ändern. 

Die RUGS-Maschine: Ein Relikt der Industrialisierung 

Die Maschinenmetapher basiert auf drei Grundannahmen – dem RUGS-Prinzip:  

  • Rational: Organisationen treffen ausschließlich logische Entscheidungen 
  • Unitary: Alle arbeiten als erkennbare Einheit zusammen  
  • Goal-Seeking: Das primäre Ziel ist die Erreichung festgelegter Ziele 

Diese Denkweise entstammt der industriellen Revolution und ist auch bildlich stark geprägt vom Aufkommen großer Maschinen, Fabrikhallen und generell mechanischer Apparaturen. Präzision, streng festgelegte und damit vorhersehbare Abläufe, Hierarchien und Aufgabenzuschnitte haben sich daraus ergeben. 

Auch wenn sich das Bild noch hartnäckig hält - aus heutiger Sicht wird deutlich, wie unpassend die Maschinen-Metapher für unsere Zeit ist. Nicht zuletzt scheitern Transformationsprojekte oft an der Unbeweglichkeit von Organisationen, die sich durch allzu starre Strukturen, Prozesse und manchmal auch Denkweisen ergibt. 

Der menschliche Faktor: Mehr als Zahnräder 

Es ist eigentlich simpel: Menschen sind keine Maschinen – auch wenn Präzision, Zuverlässigkeit, Belastbarkeit und Planbarkeit erstrebenswerte Werte sind, die man mit Maschinen vergleichen kann. Wenn wir Mitarbeitende allerdings als "austauschbare Bestandteile" oder Teams als „kaputt“ betrachten, wird vielleicht deutlicher, in welchem Maß die Metapher zu unguten Arbeitsbedingungen führen kann. 

In meiner Coaching-Praxis erlebe ich regelmäßig, wie Menschen unter der Maschinenmetapher leiden, z.B.: 

  • Ausbrennen oder Boreout durch übermäßige Erwartungen, dass Menschen in der ihnen zugeteilten Rolle zu „funktionieren“ haben 
  • Innovationsstau und Veränderungsblockaden durch starre Hierarchien und Vorstellungsweisen 
  • Verlust von Talenten, die sich nicht "wie ein Rädchen" fühlen wollen 

KI als Katalysator? Die Metapher neu denken 

Interessant wird es, wenn wir KI ins Spiel bringen. Künstliche Intelligenz übernimmt zunehmend die wirklich "maschinellen" Aufgaben – Datenverarbeitung, Routineprozesse, Mustererkennung. Das könnte paradoxerweise Menschen und Organisationen dazu befreien, wieder menschlicher zu werden. 

Anstatt uns also zu fragen, wie „menschlich“ KI werden wird, könnten wir uns eher mit der Frage beschäftigen: Wenn KI die Maschine (in der Metapher) wird, was werden dann wir? 

Wenn sich Organisationen in erster Linie als Uhrwerke oder andere Maschinen sehen, bleibt dann nicht mehr viel übrig. Menschliche „Bauteile“ werden durch digitale ersetzt. Dennoch geht hoffentlich niemand ernsthaft davon aus, dass in KI-getriebenen Unternehmen der Zukunft keine Menschen mehr arbeiten werden. Hier stößt die Metapher endgültig an ihre Grenzen. Sie ist, aus meiner Sicht, nicht zukunftsfähig und sollte, wo vorhanden, durch ein hilfreicheres Bild ersetzt werden. 

Warum ist das wichtig? Wie wir über Organisationen denken und sprechen, bestimmt auch, wie wir sie gestalten können. Sprachbilder sind in sich geschlossen und begrenzen, welche Lösungen wir uns ausdenken können und einzusetzen bereit sind, um eine Situation zu verbessern. 

Was denken Sie: Ist es Zeit, die Maschinenmetapher zu überdenken? Teilen Sie Ihre Erfahrungen in den Kommentaren. 

Warum Organisationsentwicklung Modelle braucht – und wie KI alles verändern könnte   

Märkte verändern sich, Technologien entwickeln sich rasant weiter, gesellschaftliche Erwartungen verschieben sich. Um in diesem Umfeld zu bestehen, brauchen Unternehmen mehr als nur gute Absichten – sie brauchen belastbare Modelle, die Wandel strukturieren, verständlich machen und steuern. 

Modellierung bedeutet, Komplexität greifbar zu machen. Es ist die Kunst, das Wesentliche zu erkennen, Zusammenhänge sichtbar zu machen und Dynamiken zu verstehen. Anders gesagt: Wer ein System steuern will, braucht eine Vorstellung, ein Modell davon. Nur so lassen sich Muster erkennen, Verhaltensweisen vorhersagen und gezielt eingreifen – ohne riskante Experimente am lebenden Objekt. 

Was macht ein wirksames Veränderungsmodell aus? 

Erfolgreiche Modelle in der Organisationsentwicklung sind weit mehr als einfache Checklisten - sie können umfangreich und aufwendig werden. Sie sind spezifisch für den jeweiligen Fall und sollten die Strategie für die Entwicklung der Organisation abbilden. Vor allem aber berücksichtigen sie Komplexität:  

  • Sie erkennen Wechselwirkungen zwischen Strukturen, Menschen und Kultur. Jede Veränderung an einer Stelle hat Folgen an anderer. 
  • Sie stellen den Menschen in den Mittelpunkt: Veränderung ist immer auch emotional. Gute Modelle adressieren Ängste, Erwartungen und Widerstände. 
  • Sie sind kontextsensitiv: Jedes Unternehmen ist einzigartig. Modelle müssen auf Rahmenbedingungen, Historie und Umfeld eingehen. 
  • Sie setzen auf Diagnose und Analyse: Nur wer den Ausgangspunkt kennt, kann den Weg planen. Tools wie das TROPICS-Modell helfen, die Ausgangslage strukturiert zu erfassen. 
  • Sie definieren klare Ziele und Visionen: Ein inspirierendes Zielbild gibt Orientierung und motiviert. 
  • Sie liefern konkrete Prozesse und Strategien: Sie zeigen den Weg, wie Veränderung praktisch umgesetzt wird. 
  • Sie stärken Führung und Change Agents: Wandel braucht Vorbilder, Moderatoren und glaubwürdige Sponsoren. 
  • Sie fördern Kommunikation und Beteiligung: Nur wer mitnimmt, statt zu überrollen, schafft Akzeptanz und Engagement. 
  • Sie verankern und verstärken Erfolge: Veränderungen müssen gemessen und gefeiert werden, um dauerhaft zu wirken. 
  • Sie ermöglichen Lernen: Reflexion und kontinuierliches Lernen sichern nachhaltigen Erfolg. 

Tipp für Führungskräfte: Stellen Sie sich regelmäßig die Frage: „Wie aktuell und anschlussfähig sind unsere Modelle? Was haben wir aus früheren Veränderungen gelernt?“ 

KI als Gamechanger in der Organisationsentwicklung? 

Künstliche Intelligenz kann einen deutlich positiven Einfluss darauf haben, wie wir Modelle entwickeln und nutzen:  

  • Datengetrieben statt Bauchgefühl: KI kann sehr große Datenmengen analysieren, Muster erkennen und Simulationen erstellen, die menschliche Kapazitäten übersteigen. 
  • Schnellere Iterationen: Modelle können in Echtzeit angepasst werden, wenn sich Rahmenbedingungen ändern. 
  • Demokratisierung von Insights: KI-gestützte Tools machen komplexe Analysen für mehr Mitarbeitende zugänglich – nicht nur für Expert:innen. 
  • Neue Perspektiven: Sprachmodelle helfen, Szenarien zu durchdenken, Risiken zu bewerten und Maßnahmen zu priorisieren. 

Doch Vorsicht: KI ist bei weitem kein Allheilmittel. Zumindest nach aktuellem Stand kommt eine KI-basierte Modellierung bspw. an Grenzen, wenn es um Unternehmenskultur und die sogenannte informelle Organisation geht. Damit ist die tatsächlich gelebte Kommunikationsstruktur und Unternehmenskultur gemeint, die meist abweicht von dem, was in Organigrammen oder Mission Statements zu lesen ist. Sie ist nur schwer zu erfassen und daher oft keine gute Datenquelle, die KI-basiert ausgewertet werden könnte. 

Wie nutzen Sie Modelle und KI in Ihrer Organisation? Teilen Sie Ihre Gedanken und diskutieren Sie mit! 

Auswahl Kontakt

Marc Riedinger

Organisationsberatung und Coaching
2024 Marc Riedinger